Intimbereich und Körpersäfte

Intimbereich und Natürlichkeit
Bild: by Bosmaerwin; www.pixabay.com

Lena kam völlig verklärt von einem Tantra-Seminar-Wochenende. Mit strahlenden Augen erzählte sie mir, dass sie jetzt endlich ihre Göttin zwischen den Beinen entdeckt hat und ihre Säfte seien auch nicht mehr eklig, sondern heilig. Zumindest ein bisschen...

 

Innerlich rolle ich mit den Augen. Ich höre diese Geschichte gefühlt jeden Tag. Und zugegebener maßen hatte ich auch so eine Phase... Während ich ihr dabei zuhöre und mich für sie freue, frage ich mich: "Geht das nicht auch eine Spur entspannter?"

 

Körperhass und Körperkult

Falls du gerade auch eine Lena bist, bleib in deiner Freude über diese Neuentdeckungen. Denn das ist super! Ich denke, diese Freude ist ein wichtiger Schritt in Richtung "Normalität" oder besser Entspannung.

 

Was meine ich damit?

 

Wir als Kulturraum haben eine sehr lustfeindlichen und Genitalien hassenden Geschichte. Und das ist bis heute noch keinesfalls anders. Obwohl wir überall halbnackte Menschen sehen und Pornographie so leicht zugänglich ist wie nie, bildet das noch lange keine Normalität ab. 

Genital-Wahn

Vieles, was wir über Medien empfangen, ist retuschiert oder operiert. Wir jagen Idealen hinterher, die wir im gleichen Atemzug hinterfragen. Trotzdem ist der Leidensdruck im Herzen und in den Köpfen der Menschen riesig.

 

Und in den ganzen Frauenzeitschriften lese ich immer noch die Schlagzeilen: "5 Dinge, die Sie im Schlaf 10 Kilo leichter machen" und daneben ein wundervolles Model mit straffen Brüsten und einem Apfel im Mund.

In Filmen oder auf Bilder werden Vulven retuschiert, Schamlippen (oder Labien) verkleinert und der Anus gebleicht. Denn auch im Genitalbereich gibt es Vorstellungen, wie "es" auszusehen hat.

 

Ekel vor den Körpersäften

Dazu kommt, dass sich viele Menschen, egal ob nun Frauen oder Männer, vor ihren eigenen Körpersäften ekeln. Und sie ekeln sich auch vor den Körpersäften anderer Menschen. Ich kann das verstehen, wenn es sich um fremde Menschen handelt, aber wenn ich mich dazu entscheide, mit jemandem das Bett zu teilen, dann hört der Ekel doch auf?

 

Falsch!

 

Erst neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Frau, die sich nach einem Paarcoaching, bei dem sie gegenseitig die Intimmassage gelernt haben, bei mir meldete. Sie hatte das Bedürfnis mit mir ihre Eindrücke und ihr Erleben zu teilen. Ich freute mich für sie, dass sie sich jetzt traute, mehr zu experimentieren. Und dann meinte sie: "Bei mir hat es klick gemacht, nachdem wir bei dir waren. Ich hatte Sorgen, dass du dich ekelst, weil er gekommen ist. Und du sahst ganz entspannt auf deinem Stuhl und hast mir völlig unaufgeregt das Tuch gereicht. So als wäre das etwas ganz normales. Und gestern, als wir uns massiert haben, hab ich mich nicht mehr geekelt."

 

Glorifizierung von Körper und Saft

Das sind Aussagen, die mir zeigen, wie tief die Verdrängung und Verunglimpfung von Sexualität in ihrer Ganzheit immer noch in uns sitzt.

 

Doch auch die "Gegenbewegung" zeigt mir genau dieses. Zurück zu Lena und ihrer neu entdeckten Genitalliebe. Es gibt mehrere Arten der Gegenbewegung. Das sind zum einen diejenigen, die den eigenen Körper und die darin produzierten Säfte wiederentdecken und stantepede heilig sprechen

 

Und es gibt eben diejenigen, die andere Menschen vorzugsweise mit ihren Körpersäften auf irgendeine Art beglücken. Meistens sieht man das in Pornos und auch da gibt es Menschen, die denken, sie seien sooo unglaublich locker, wenn sie genau das geil finden. 

Darf man, ist auch schön, wenn man das mag. Glaube ich den wenigsten, wenn ich drei Takte mit ihnen geredet habe.

 

Die lieben Schatten

Mittlerweile sehe ich die Sache ziemlich nüchtern, denn auch dieser Körperkult und dieses Ekel- und Heilig/Geilding entspricht einem Muster: Alles, was wir zwanghaft versuchen zu unterdrücken, wird sich irgendwann in einem übertriebenem Maße Bahn brechen.

 

Da ist die Sexualität und ihre ganzen dazu gehörigen Faktoren überhaupt keine Ausnahme.

 

Doch sowohl das völlig unterdrückte und versteckte, zum Teil bis hin zu eklig und madig gemachte, als auch die ach so heilige und geile Sichtweise, sind Extreme der gleichen Skala.

 

Für mich sind sie deshalb beides nur Ausdruck einer Entfremdung vom Gefühl, vom Körper und von der Selbstverständlichkeit der Sexualität. Ja, in den gegebenen Situationen ist es anturnend. Ja, ich achte meinen Körper und meine Vagina auch, aber muss ich mich dafür "göttlich" fühlen?

 

Ein Plädoyer für die Entspannung

Wahrscheinlich ist es nach der Zeit der Unterdrückung wichtig, einen starken Gegenpol zu schaffen. Wahrscheinlich ist es gut, dass Lena ihre Vulva jetzt für eine Gottheit hält. Wahrscheinlich ist es gut, dass sie ihre Körpersäfte jetzt huldigt.

 

Für mich ist auch das mittlerweile anstrengend. Körpersäfte sind halt Körpersäfte. Selbstverständlich kümmert man sich um seinen Intimbereich genauso liebevoll wie um den Rest des Körpers. Der Kontext macht das spezielle Gefühl aus. 

Ich spüre, wie entspannt es ist und wie völlig selbstverständlich. Keine Fixierung, sondern Freiheit.

 

Das wünsche ich mir: einen entspannten und selbstverständlichen Umgang mit dem Körper, mit der Sexualität. Etwas, das natürlich zum Leben gehört. Das man achtet, worum man sich kümmert, ohne es zu überspannen. Einen Bezug zu sich. Eine Selbstverständlichkeit der sexuellen Persönlichkeit wie das berufliche Ich.

Ich glaube, dann ist die sexuelle Revolution wirklich gelungen.

 

Alles Liebe!
Claudia